Ein Bild und seine Geschichte

Ein Bild und seine Geschichte

... eine Geschichte, die uns eine Brennerei-Freundin zuschickte. Anrührend fanden wir und inspirierend noch dazu. Manchmal einfach mal machen, auch wenn dir Herman nicht im Rücken steht ...
Die Geschichte geht so:

Wie Hermann und ich eine Mail abschickten
Ist doch ganz einfach: Ich schreibe schnell eine Mail, dass mich das Stellenangebot interessiert, und dann sehen wir weiter. Keine große Sache. Einfach nebenbei aufs Privatgerät tippen - Homeoffice macht’s möglich - , abschicken, fertig. So dachte ich heute morgen. Die Mail ist seit Stunden fertig. Das Senden nicht.  
Ich mag meine aktuelle Firma. Tolle Kollegen, verständnisvolle Chefinnen, flexible Arbeitszeiten, interessante Aufgaben. Doch dieses Angebot, das mich unerwartet erreicht hat, ist DIE Chance. Traumposition in einem Feld, in dem ich mich bestens auskenne. Heimspiel. Etwas tief in mir weiß, dass dieser Job nur auf mich wartet - vorausgesetzt, ich schicke endlich diese Mail ab.
Es dämmert. Ich schalte die Lichterkette auf der Terrasse ein und zünde eine Kerze an. Falscher Trick. Die friedliche Stimmung macht mich noch verzagter. Es ist doch gar nicht schlecht, wie es gerade ist, scheint sie mir zuzuflüstern. Hier kennst du dich aus. Bist du wirklich sicher, was dich im nächsten Job erwartet? Warum willst du dir das antun? Miese Verräterin. 
Ich starre auf den Bildschirm. Meine Aufbruchstimmung ist fast völlig verschwunden, bis auf diese Gewissheit: Es ist eine einmalige Chance und ich muss sie genau jetzt nutzen. Ich schließe die Augen. Das Bild vor mir verschwindet. Dafür habe ich das seltsame Gefühl habe, als würde ich mit dem Hinterkopf schauen. Jedenfalls sehe ich plötzlich das Regal, das in meinem Rücken steht. Es enthält neben Gläsern und Karaffen unsere bescheidene Spirituosenbar, angeführt von Elmendorfs Urgrossvater, meinem Lieblings-Gin, auch gerne mal als Longdrink nach einem anstrengenden Tag. Neben dem Urgrossvater steht Hermann.
Oder besser gesagt Korn HHermann ist sein Namenspate und bezeichnet das Fass von 1890, das diesen Korn reifen lässt.
Hermann jedenfalls kommt sonst nur abends nach dem Essen auf den Tisch. Das typische Schicksal des Korns, aber nicht heute: Hermann erscheint mit plötzlich genau richtig. Ich hole ein Likörglas und eine Hilfe zum Abmessen: Der kleinste Gluggle Jug in unserer Kollektion von fröhlichen glucksenden Fisch-Karaffen.
Ich nehme einen Schluck. Hermann breitet sich in mir aus. Mild und doch charaktervoll, klar und doch warm, einfach souverän. Ich merke, wie sich mein Geist schärft und meine Entscheidungskraft zurückkehrt. Ich weiß, was zu tun ist, und ich genieße es.
PS: Als erstes muss man natürlich immer ein Foto machen. Im Anschluss ereignete sich das Folgende:
a) auf „Senden“ gedrückt
b) langsam ausgetrunken
c) ans Telefon gegangen. Die neue Firma. Sie möchte, dass ich komme.

Henrike T.